Der Kölner Dom, der Mont-Saint-Michel in Frankreich und die Akropolis in Athen. Sie alle stehen auf der Weltkulturerbe Liste der UNESCO. Sie alle braucht man nicht weiter zu erklären, jeder kennt sie.
Und dann gibt es da Alfeld. Eine Kleinstadt mit ca. 21.000 Einwohnern in Niedersachsen, in der Nähe von Hannover. Dort steht seit 1911 eine Schuhleistenfabrik, die 2011 zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt wurde.
Ich musste erst einmal schauen, wo Alfeld überhaupt liegt. Auf der Rückreise vom Harz bot sich ein spontaner Abstecher an, um herauszufinden, was es nun mit dieser Schuhleistenfabrik auf sich hat.
Ein Mann und seine Vision
Carl Benscheidt (1885 – 1947) arbeitete in der Schuhleistenfabrik C. Behrens als leitender Angestellter. Jedoch zerstritt er sich mit seinem damaligen Arbeitgeber und beschloss, eine eigene Fabrik aufzubauen.
So kaufte er das Grundstück, gleich auf der anderen Seite der Bahngleise und entschied sich, hier ebenfalls eine Schuhleistenfabrik zu errichten. Er wollte es besser machen, als sein ehem. Arbeitgeber, der seinen Erfolg nun direkt beobachten konnte.
Fabrikgebäude waren um die Jahrhundertwende und Anfang des 20. Jahrhunderts eine düstere, schlecht belüftete Angelegenheit, die Arbeiter nichts weiter als Ameisen, die in ihren dunklen Bau strömten, um irgendwann wieder von diesem ausgespuckt zu werden und ans Tageslicht kamen. Die menschliche Arbeitskraft genoss keine große Wertschätzung.
Carl Benscheidt wollte etwas anderes, etwas völlig neues. In den USA holte er sich für die Gestaltung seiner Fabrik Ideen, denn dort war man in der Architektur einen Schritt weiter als in Europa.
In dem jungen, zu der Zeit noch nicht einmal 30 Jahre alten Architekten Walter Gropius, dem Begründer der späteren Bauhaus Architektur, fand er einen Mitstreiter. Gropius, der vorher noch keine Aufträge gehabt hatte, fand in den Visionen des Bauherren Benscheidt großen Gefallen. Beide vertraten den Ansatz, dass wenn der Arbeiter zufrieden ist, dies auch einen guten Einfluss auf die Produktivität haben wird.
Die Architektur des Fagus-Werkes
Benscheidt beauftragte Gropius und seinen Mitarbeiter Adolf Meyer für den Bau seiner neuen Fabrik. Diese entschieden sich für einen völlig neuen Baustil, mit Glas und Stahl. Das Gebäude sollte dem Fabrikarbeiter Licht, Luft und Reinlichkeit bringen. Es entstand das Fagus-Werk in seiner heutigen Form. Schaut man sich die Fassaden an, so wird klar, dass sie von zeitloser Funktionalität und Schönheit sind und somit heute noch als modern bezeichnet werden können.
Viele Zeitgenossen des Unternehmers Benscheidt hielten seine Pläne damals, wie es immer ist wenn man völlig neue bis dahin unbekannte Wege beschreitet, für eine Spinnerei, da das geplante Gebäude mit seiner kompletten Gestalt aus dem Rahmen fallen sollte.
Doch mit seinem ersten architektonischen Werk, dem Fagus-Werk und seiner Stahl und Glas Konstruktion, ging Gropius völlig neue Wege in der modernen Architektur. Die Ecken des Gebäudes kommen ohne weitere Stützen aus und sind lediglich mit Glas verhängt. Eine absolute Neuerung und der Beginn der modernen Skelettbauweise.
Ein netter Nebeneffekt der großflächigen Fensterfronten und dem damit verbundenen Lichteinfall war natürlich auch das Einsparen von Strom, der Anfang des 20. Jahrhunderts sehr teuer war.
Außerdem hatten die Arbeiter die Möglichkeit nach draußen zu schauen und mit ihrer Umwelt zu interagieren. Sie waren nicht mehr „weggeschlossen“ wie in anderen Fabriken. Alles ist sozusagen gläserner geworden, ebenso die Produktion selbst.
Man kann also sagen, dass hier in dem kleinen Städtchen Alfeld an der Leine die Keimzelle der späteren Bauhaus Architektur lag.
Fagus kommt aus dem lateinischen und heißt im übrigen Buche. Diese wurde zur Herstellung der Schuhleisten benötigt. Heute werden die Schuhleisten weitestgehend durch Kunststoff ersetzt.
Das Fagus-Werk in Alfeld wurde genau zum 100 jährigen Bestehen 2011 von der UNESCO zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt.
Öffnungszeiten:
Das Fagus-Werk lässt sich täglich von 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr besuchen.
Preise:
Es gibt verschiedene Tickets, je nachdem ob man an einer öffentlichen Führung teilnehmen, sich das Gelände selber mit Hilfe eines Audio Guides anschauen möchte oder nur das UNESCO Besucherzentrum, die Fagus-Gropius-Ausstellung und die Fagus-Galerie besuchen möchte.
- 3in1 Ticket (Besucherzentrum, Fagus-Gropius Ausstellung und Fagus-Galerie),
Erwachsene 8,00 € - 4in1 Ticket mit öffentlicher Führung, Erwachsene 11,00€
- nur öffentliche Führung, Erwachsene 4,00€
- nur Video Guide 3,00€
Anfahrt:
Mit der Bahn: Sowohl die Deutsche Bahn, als auch der Metronom halten stündlich am Bahnhof Alfeld. Von dort aus ist es ein ca. 7 minütiger Fußweg bis zum Fagus-Werk.
Mit dem Auto (kostenfreie Parkplätze auf dem Werksgelände) von Hannover, Göttingen und Goslar aus in ca. 1 Stunde zu erreichen,
7 Comments
Eine UNESCO Welterbe Tour durch Deutschland
2. Dezember 2020 at 9:50[…] wenn der Arbeiter zufrieden ist, lässt sich auch die Produktivität steigern. Wenn man sich die Architektur des Fagus Werkes heute ansieht, kann man kaum glauben, dass die Fabrik schon fast 110 Jahre alt […]
Gina | 2 on the go
10. Oktober 2018 at 22:26Hallo Miriam,
ich finde sowas super interessant zum besichtigen.
Das hat richtig Bezug zum echten Leben.
ich werde mir das auf jeden Fall merken, fürs nächste Mal, wenn ich in der Gegend bin.
Liebe Grüße Gina
Elena
7. Oktober 2018 at 20:01Liebe Miriam,
ich besuche in Italien quasi ständig irgendeine UNESCO Weltkulturerbestätte, aber dass auch Fabriksgebäude dazu gezählt werden, war mir neu. Danke für diesen Input! Dass ich als Österreicherin von dem Städtchen noch nie etwas gehört habe, wird dich sicher nicht besonders wundern. Dein Beitrag ist jedenfalls total informativ und die Fakten am Ende schätze ich besonders!
Liebe Grüße
Elena
Kathi
7. Oktober 2018 at 18:30Liebe Miriam,
wow, davon hatte ich auch noch nichts gehört. Was für eine beeindruckende Architektur und was für eine tolle Geschichte dahinter. Danke dir für den Tipp. 🙂
Viele liebe Grüße
Kathi
Michelle | The Road Most Traveled
1. Oktober 2018 at 23:23Das ist ja witzig.
Ich kannte dieses UNESCO Weltkulturerbe bisher nicht.
Und das Gebäude hätte ich vermutlich so auch nicht als Weltkulturerbe eingeschätzt.
Ist schon spannend zu sehen, welche Gebäude und Plätze diesen Titel mit sich tragen.
Herzliche Grüße,
Michelle
Ines
25. Februar 2018 at 13:57Liebe Miriam,
das sieht ja cool aus! Davon hatte ich noch nicht gehört, sieht aber sehr interessant aus!
Liebe Grüße
Ines
Miriam
25. Februar 2018 at 14:39Hallo Ines,
ja, ich liebe solche “Reiseziele”. Viele Welterbestätten kennt man so gar nicht, aber sie sind sehr interessant und bieten immer wieder Überraschungen.
Lg Miriam