Für die meisten Mexiko-Reisenden gehört ein Besuch der archäologischen Stätte Teotihuacán fest ins Programm, zumal diese bequem in einer kurzen Fahrt mit dem Bus von Mexiko Stadt zu erreichen ist.
Ich habe diesen wunderbaren Ort, dank meines Studiums, auf eine ganz besondere Weise kennengelernt, die den meisten Besuchern vor Ort verborgen bleibt. An dieser Stelle möchte ich Euch diesen prähispanischen Ort aus den Augen einer Archäologin ein wenig näher bringen und somit auch hoffentlich mit einigen Fehlern aufräumen, die ich immer wieder lese.
Die Kultur von Teotihuacán
Wer hier eine romantische Ausgrabungsstätte in Zentralmexiko erwartet, den muss ich leider enttäuschen. Rund 3 mio. Besucher pro Jahr drängen sich die Straße der Toten herunter zu den beiden großen Bauwerken Teotihuacans, der Sonnen- und der Mondpyramide.
Die Stadt erlebte ihre Blütezeit von etwa 100 v.Chr. bis 550/650 n.Chr., erstreckte sich in dieser Zeit über ein Areal von rund 20 Quadratkilometern und wurde von rund 200.000 Einwohnern bewohnt. Somit stellte sie zu der Zeit nicht nur das größte und wichtigste kulturelle wie wirtschaftliche Zentrum Mesoamerikas dar, sondern gehörte auch zu einer der größten Städte der Welt.
Über die Ausdehnung des Herrschaftsbereiches der Teotihuacanos ist bis heute immer noch relativ wenig bekannt. Fakt ist aber, dass sowohl in der Maya Region, als auch an der Golfküste im heutigen Bundesstaat Veracruz, an der Pazifikküste in Oaxaca und sogar im mexikanischen Chiapas und in Guatemala die Einflüsse der Teotihuacán-Kultur in verschiedenen Formen nachweisbar sind.
Um 550/650 n.Chr. wurden die Tempel in Teotihuacán systematisch geschändet und niedergebrannt. Dies wurde, wie auch in anderen mesoamerikanischen Stätten, gemacht, um den Ort einen rituellen Tod sterben zu lassen. Somit wurde nicht nur die Herrscher Elite, sondern auch ihre Wirkungsstätte, aus der sie ihre Legitimation bezogen, zerstört.
Wer oder was genau zu dem Untergang von Teotihuacán führte ist bis heute unklar. Vermutet werden fremde Einflüsse von außen, aber auch Aufstände aus dem Inneren heraus, genau so wie Klimaveränderungen. Vielleicht war es auch eine Kombination verschiedener Faktoren.
Die Azteken und Teotihuacán
Leider lese ich recht häufig, dass Teotihuacán eine Stätte ist, die das Volk der Azteken erbaut haben soll. Fakt ist aber, die Azteken wanderten erst im 13. Jh. n. Chr, in das Tal von Mexiko (wo sich heute die Hauptstadt des Landes befindet), ein. Da war Teotihuacán bereits seit 500 Jahren verlassen. Die Azteken betraten Teotihuacán lediglich und nahmen an, dass diese großartige Stätte mit ihren riesigen Bauwerken unmöglich von Menschenhand erbaut worden sein könnte. Nur die Götter hätten so etwas erschaffen können! Der Name Teotihuacán leitet sich ab aus dem aztekischen (auch nahuatl genannt) und bedeutet „Ort, an dem die Götter wohnen“.
„Als es noch Nacht war, ehe es Tag wurde, ehe es Licht wurde, trafen sie sich, die Götter trafen sich – dort in Teotihuacan“
Gedicht aus dem Codex Florentinus
Der Anblick der monumentalen Bauwerke führte bei den Azteken zur bekannten “Legende der Sonne”, ein auf nahuatl verfasster Text, der von der Versammlung der Schöpfergottheiten in Teotihuacán erzählt, mit der Absicht ein neues Zeitalter beginnen zu lassen, nachdem die alten schon vier mal zerstört wurden. Ebenso erscheinen die beiden Hauptmonumente Teotihuacáns, die Sonnen- und die Mondpyramide, in einigen vorspanischen Codices, so dass auch hier die Gefahr einer falschen Deutung besteht. Der berühmte aztekische Herrscher Moctezuma soll die Ruinenstadt mehrfach aufgesucht haben, um hier Rücksprache mit den Göttern gehalten zu haben und somit seine Herrschaft zu legitimieren.
Die Azteken, deren Gesellschaft erst seit dem 14. Jh. belegt ist, griffen aber auf die Bilderwelt Teotihuacáns zurück. So spielte der alte Gott, Huehueteotl, die gefiederte Schlange Quetzalcoatl oder der Regengott Tlaloc bei den Azteken ebenfalls eine große Rolle.
Die Ciudadela (Zitadelle) und der Tempel der gefiederten Schlange
Der erste Halt für zahlreiche Besucher ist die sogenannte Ciudadela (Zitadelle). Dieser Gebäudekomplex ist von Mauern von ca. 400m Länge umgeben, die es verhindern, dass man von draußen hineinsehen kann. Sie beherbergt den Tempel des Quetzalcoatl (Tempel der gefiederten Schlange, quetzal=Vogel, gefiedert, coatl=Schlange) der um 200 n.Chr. errichtet wurde. An dessen Fassade lassen sich die Köpfe der gefiederten Schlange und des Regengottes Tlaloc bewundern.
Die gesamte Anlage konnte während der weltlich-religiösen Zeremonien tausende Menschen fassen. Bei archäologischen Ausgrabungen entdeckte man schon früh zahlreiche Gräber und Grabgruben mit mehreren Toten. Ihre Körperhaltung mit auf dem Rücken liegenden Händen, als seien sie gefesselt worden, deutet darauf hin, dass sie Bestandteil einer Opferzeremonie waren die am Tempel der gefiederten Schlange, dem Mittelpunkt der Zitadelle, statt fand. Die Lage und Aufteilung der Grabstätten, die alle auf zentrale Punkte ausgerichtet waren, weist auf eine enge Verbindung mit dem Kosmos hin. Ebenso sind die numerischen Bestandteile der Gräber (4,8,9,18 und 20 Personen) Ausdruck des Ritual-und Sonnenkalenders vieler mesoamerikanischer Völker. Daher geht man davon aus, dass der Tempel der gefiederten Schlange zusammen mit der gesamten Zitadelle die Berechnung der Zeit ermöglichten.
Die Straße der Toten in Teotihuacán
Als “Straße der Toten” wird die rund 4 km lange Nord-Süd Verbindung bezeichnet an dessen nördlichen Ende die Mondpyramide steht. Auch dieser Name stammt von den Azteken. Diese gingen nämlich beim Anblick der zahlreichen kleineren Tempelplattformen, die sich links und rechts der “Straße der Toten” befinden, fälschlicher Weise davon aus, dass es sich um Grabstätten handeln würde, dabei handelt es sich um Plattformen, Pyramidengruppen und Wohnhäuser der Oberschicht.
Die Mondpyramide in Teotihuacán
Die Pyramiden von Teotihuacán wurden ausschließlich durch menschliche Muskelkraft und Steinwerkzeuge gebaut. Lasttiere waren in ganz Mesoamerika unbekannt.
Die Mondpyramide liegt am äußersten Ende der Strasse der Toten, die sich über 4km von Norden nach Süden erstreckt, und wurde in sieben Bauphasen errichtet. Aufgrund der Funde, die bei diesen einzelnen Gebäuden gemacht wurden, geht man davon aus, dass zu Beginn jeder Bauphase und zum Ende ihrer Nutzung wichtige Rituale abgehalten wurden, die mit Menschen- und Tieropfern in Verbindung standen. So wurde beispielsweise ein Puma in einem Holzkäfig bei einem der Gebäude gefunden, ein Grab mit 18 menschlichen Schädeln bei einem Anderen.
Aber nicht nur Tier- und Menschenopfer wurden bei der Mondpyramide gefunden, auch zahlreiche Objekte von großem symbolischen Wert wie Keramik- und Steinfiguren, große Räuchergefäße und monumentale Steinskulpturen.
Die Sonnenpyramide in Teotihuacán
Die Sonnenpyramide ist das größte Bauwerk in Teotihuacán und datiert vermutlich in die Zeit um 150 n.Chr. Ihren Namen erhielt sie von den später in das Tal eingewanderten Azteken. Ihren ursprünglichen Namen kennen wir nicht.
Die Pyramide hat eine ungefähre Seitenlänge von 215 m, eine Höhe von 63 m und ein Gesamtvolumen von 1 mio. Kubikmetern und ist damit die drittgrößte Pyramide der Welt. Somit zog sie schon immer die Aufmerksamkeit, nicht nur der nachfolgenden vorspanischen Kulturen in Zentralmexiko auf sich, sonder auch das Interesse der Archäologie. Schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurden Grabungen durchgeführt. Anfang der 1970er Jahre wurde eine Höhle unter der Pyramide entdeckt, deren Zugang sich an der Westseite des Bauwerkes befindet. Sie reicht fast bis zum Mittelpunkt der Pyramide.
Auch innerhalb der Sonnenpyramide wurden, wie bei der Mondpyramide, Bestattungsplätze auf verschiedenen Ebenen gefunden, ebenso an den Ecken des Bauwerkes. Auch bei der Sonnenpyramide geht man von einer astronomischen Bedeutung aus, näheres werden aber erst zukünftige Forschungen ans Tageslicht bringen.
Wandmalereien in Teotihuacán
An zahlreichen verschiedenen Stellen in Teotihuacán, wie z.B. den Wohnkomplexen, Tempeln oder auch an den Fundamentsockeln der Pyramiden lassen sich auch heute noch Wandmalereien erkennen. Die Motive wiederholen sich mehrfach und zeigen katzenartige Wesen, Meereschnecken, Vögel aber auch zahlreiche Menschen und Gottheiten. Viele der noch erhaltenen Kunstwerke befinden sich heute im Museo de los Murales Teotihuacanos, welches sich nordwestlich der Mondpyramide befindet.
Der Jaguar
Der Jaguar ist immer mit einer Darstellung von Macht verbunden, denn die Großkatze stand in der gesamten mesoamerikanischen Vorstellung für einen hohen sozialen Status und war eng mit dem Regengott Tlaloc verbunden. Der Jaguar ist aber auch ein Kriegssymbol und stand für Mut, Kraft und Macht und repräsentiert in den präkolumbischen Gesellschaften auch den militärischen Sieg. Auch die Krieger waren treue Ergebende ihrer Gottheiten und schrieben sich deren Eigenschaften zu.
Die Prozession der grünen Vögel
Das hier gezeigte Motiv besteht aus einer aneinandergereihten Abfolge von grünen Vögeln, aus deren orangefarbenen Schnäbeln ein Strahl hervorgeht, vermutlich Wasser, und in einer dreiblättrigen gelben Blüte endet. Sie werden als Quetzal Vögel interpretiert, die in ganz Mesoamerika von großer Bedeutung waren, auch wenn ihre äußere Erscheinung auch Elemente von Papageien trägt. Dieses Wandgemälde wurde in einem Tempelkomplex gefunden.
Der Regengott Tlaloc
Auch der Name “Tlaloc” stammt von den Azteken, die Teile der teotihuacanischen Bilderwelt in ihre Kunst mit einfließen ließen. Da der Name der Gottheit aus der Zeit Teotihuacáns unbekannt war, wird meist der aztekische Name verwendet. Auf diesem Fragment eines Wandgemäldes kann man einen Priester erkennen, der den Regengott Tlaloc impersonifiziert. Zu erkennen ist der Regengott immer an seinen runden Kringeln um die Augen. Bei diesem Fragment geht man davon aus, dass es sich um einen Priester handelt, der bei der Aussaat wichtiger Pflanzen ist (zu erkennen an den sich im Strahl, der von seiner Hand abgeht, befindlichen länglichen Objekten).
Forschung in Teotihuacán heute
Blickt man von der Sonnen- oder Mondpyramide hinunter auf das Areal der archäologischen Stätte erscheint sie einem riesig. Fakt ist jedoch: bis heute wurden rund 95% der Ruinen noch NICHT ausgegraben. Das, was wir mit unserem Auge erfassen sind lediglich rund 5% des gesamten Geländes. Um Teotihuacán als Ganzes zu verstehen, und das gilt im Übrigen für jede archäologische Stätte, reicht es nicht aus, nur die Tempelkomplexe im zentralen Teil der Stadt auszugraben und zu erforschen. Die Wohnbereiche der einfachen Bevölkerung, die außerhalb des Tempelkomplexes liegen, können mit ihren Hinterlassenschaften wie z.B. Keramikscherben, Steinwerkzeugen u.ä. dazu beitragen nicht nur die sozialen und wirtschaftlichen Komponenten der Stadt zu verstehen, sondern auch Einblicke in den Konsum und die Verbreitung und Verarbeitung bestimmter Güter bringen.
Leider werden in den Außenbezirken der Stadt heute häufig moderne Häuser gebaut, ohne jedoch Rücksicht auf die noch unerforschten Gebiete von Teotihuacán zu nehmen. Es fehlt schlicht weg an Geld um geeignete Maßnahmen durchzuführen. Auch wenn bei der archäologischen Arbeit in den Außenbezirken bzw. den Wohnbezirken keine spektakulären Funde mehr zu erwarten sind, so verraten aber die Hinterlassen der Menschen, ihr “alltäglicher Müll”, uns sehr viel mehr über ihre Lebensweise, ihre Gesellschaft, ihre unterschiedliche Herkunft und ihre soziale und wirtschaftliche Organisation, als mancher vermuten mag.
Teotihuacán wurde 1987 in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen.
Meine werte Hamburger Reiseblogger – Kollegin Marina von MS Welltravel war gerade in Mexiko unterwegs und hat nicht nur Teotihuacán besucht, sondern auch eine Wanderung auf dem Vulkan Nevado de Toluca gemacht. Auch ihre sonstigen Tipps zu Sehenswürdigkeiten in Mexiko Stadt und Umgebung sind sehr lesenswert.
7 Comments
Roadtrip - Teotihuacan
12. Dezember 2020 at 11:16[…] mit der Geschichte um die Stätte informieren wollen, den kann ich den Beitrag von Miriam von North Star Chronicles sehr empfehlen. Als Archäologin zeigt sie dir den Ausgrabungsort aus einer ganz anderen […]
Manuela
24. März 2018 at 19:30Wow, vielen Dank für deine Arbeit zu diesem Artikel! Immer wieder faszinierend und spannend solche Stätten zu besuchen. Hoffentlich bleiben uns all die kleinen und großen meisterlichen Bauwerke noch lange erhalten!
LG Manuela
Diana
24. März 2018 at 7:42Liebe Miriam,
danke für den tollen Artikel. Es ist schön, Informationen von einer Expertin zu erhalten und so die Stätte viel besser einordnen zu können. Besonders gefallen mir die Wandmalereien. Nun ist mein Wunsch, selbst mal nach Mexiko zu fahren, noch größer.
LG Diana
Ines
22. März 2018 at 19:37Liebe Miriam,
sehr schön geschrieben! Ein ganz besonderer Artikel! Wir waren in Mexiko nur in Tulum, aber Teotihuacán sieht mega toll aus!
Liebe Grüße
Ines
Marina
22. März 2018 at 12:41Miriam – Respekt und sehr schön geschrieben! Da ich ja gerade aus Mexiko zurück bin und auch dort war, finde ich es spannend zu lesen. Falls Du mehr lesen willst ode rin Erinnerungen schwelgen willst, kannst gerne bei mir auf Blog MS WellTravel schauen…Ich selber war mit einer Freundin da, die in Mexiko lebt und Erdkunde Lehrerin ist…war auch sehr spannend was sie so erzählte. Geschichte kann so toll sein, wenn die richtigen Menschen sie erzähen 🙂
Simone
21. März 2018 at 10:31Liebe Miriam, großartiger Post! Ich bin selber großer Archäologie Fan und war lange Zeit am Überlegen Ägpytologie zu studieren. Dein Post erinnert mich, warum ich das Thema so faszinierend finde. Vielen Dank für die Inspiration Mexiko mal ganz schnell zu besuchen!
Lisa
19. März 2018 at 20:48Wow, Miriam – was für ein Artikel! Dich sollten wir zukünftig als Guide dabei haben, das wäre besser als jedes Geschichtsbuch… ich stelle es mir wahnsinnig spannend vor, solche Stätten mit deinem Expertenblick anzuschauen und Details selbst interpretieren, zuordnen und verstehen zu können!
Liebe Grüße, Lisa