Die Insel Rügen ist ein beliebtes Urlaubsdomizil und ist für ihre Sehenswürdigkeiten wie Kap Arkona, die Kreidefelsen oder die Seebäder Binz und Sellin berühmt. Aber auch die dunkle Geschichte der Insel mit ihrem KdF Seebad Prora stößt bei Touristen wie Einheimischen gleichermaßen auf großes Interesse. Das “Seebad der 20.000” kam aufgrund des Zweiten Weltkrieges nie über den Rohbau hinaus. Heute wird der geschichtsträchtige Ort aus der dunklen Vergangenheit saniert und modernisiert. Doch was steckt hinter den heute in strahlendem weiß gestrichenen Fassaden der neuen Apartments, die man für teures Geld beziehen kann? Was ist übrig von dem einstigen Wahnsinnsbau der Nationalsozialisten?
“Kraft durch Freude” (KdF)
Alles dient nur dem einen, unser Volk stark zu machen, damit wir diese brennendste Frage, dass wir zu wenig Land haben, lösen können.Robert Ley
Kraft durch Freude (KdF) war eine nationalsozialistische Organisation, die am 28. November 1933 auf einer Sondertagung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) mit dem Ziel, die Freizeit der deutschen Bevölkerung zu gestalten, zu überwachen und zu vereinheitlichen, gegründet wurde.
Das Ziel der KdF war eine mentale Stärkung der Bevölkerung in Hinblick auf den bevorstehenden Konflikt, nach dem Motto “ein starker Arischer Geist braucht Nahrung”. Angestrebt wurde eine klassenlose Volksgemeinschaft, sowie dem Normalbürger Freizeit und Urlaub zu ermöglichen, welcher bis dahin nur der Oberschicht zugänglich war. Marxismus auf Steroiden, getrieben durch den megalomanen Wahnsinn des Nationalsozialistischen Reichs.
Tatsächlich war die KdF von 1934 bis 1939 der größte Touristikanbieter und betreute rund 7 mio. Gäste! Neben Kreuzfahrten sollten insgesamt fünf Seebäder für jeweils 20.000 Menschen gebaut werden. Allerdings wurde nur auf Rügen mit dem Bau begonnen.
Viel der “Früher war alles besser” Aussagen der aussterbenden Generation unserer Urgroßeltern beruht auf der KdF Ideologie: Urlaube, Rundfahrten oder Theaterbesuche zu erschwinglichen Preisen. Ein Führer, der besonderen Wert auf den mentalen Gesundheitszustand seiner Bürger legte, formte auch den Begriff „Wohlfühldiktatur“.
Wie sollte Prora aussehen? Architektur und Konzept
Prora sollte das Juwel, ein Pilotprojekt, das erste von fünf geplanten vollintegrierten Volksbädern an der Ostsee werden. 20.000 Menschen die nach einem geregelten Tagesablauf Frühgymnastik machen, Essen, Baden und Sonnen sollten.
Der Architekt Clemens Klotz sollte im Auftrag des KdF-Führers Robert Ley den Traum für alle verwirklichen: ein einheitlicher, 4,5km langer, sechsstöckiger Block mit 10.000 Zimmern inklusive Meerblick für alle!
Zwei Betten, ein Schrank, eine Sitzecke und ein Handwaschbecken sollten pro Zimmer genügen. Dusche und WC fanden sich in den landwärts gerichteten Treppenhäusern der Blöcke, dafür gab es als Draufgabe in allen Gästezimmern Lautsprecher für ausreichend Nationalsozialistische Propaganda.
Die Uniformität der miteinander verbundenen Blöcke sollten nur von einem 400.000m² großen Aufmarschplatz mit Festhalle unterbrochen werden.
Geplant waren ein Krankenhaus, Kindergarten, Schule, Bäckerei, Fleischerei, Post, acht Speisehallen die jeweils 900 Personen im Schichtbetrieb verköstigen sollten. Zur Unterhaltung waren u.a. Kegelbahnen, Leseräume und ein Kino angedacht. Sollte das Wetter mal nicht mitspielen, so sollte es zwei moderne Schwimmhallen mit Meerwasser und Wellenanlage und zum Meer offene beheizbare Liegehallen geben.
Ein Urlaub im KdF Bad Prora auf Rügen
Ein 8-tägiger Urlaub sollte für erschwingliche 16 Reichsmark zu haben sein, umgerechnet zu einem heutigen Wert von 67€. Mitzubringen waren lediglich Nachthemd, Leibwäsche, Kamm und Zahnbürste, alles andere sollte vom KdF-Bad zur Verfügung gestellt werden. Handtücher, Seife, Bademantel, Badewäsche, Essen, Trinken und Strandkorb waren inklusive – als Besonderheit gab es einen Allwetter-tauglichen Strandanzug oben drauf. Dem flanieren an der Ostsee sollte nichts im Wege stehen. Soweit zumindest der Plan der Nationalsozialisten.
Der Zweite Weltkrieg – der Anfang vom Ende
Am 2. Mai 1936 erfolge die feierliche Grundsteinlegung durch 15.000 Teilnehmer und den Spitzen der Wehrmacht. Das Geschwader “Hindenburg” und 5 Minensuchboote gaben einen imposanten Abschluss.
Zwischen 1936 und 1939 wurden Zufahrtsstraßen, eine Eisenbahnstrecke, Strandpromenade, Fundamente und die acht Gästeblöcke im Rohbau fertig gestellt. Die neun beteiligten Baufirmen – Philipp Holzmann, Hochtief, Dyckerhoff & Widmann, Siemens-Bauunion, Boswau & Knauer, DEUBAU, Polensky & Zöllner, Beton- und Monierbau AG errichteten jeweils einen Block, mit Ausnahme Sager & Woerner, die für die Kaianlage verantwortlich waren.
Mit Kriegsbeginn im September 1939 verringerten sich die Bautätigkeiten aufgrund des Rohstoffmangels und den hohen Kosten des Projektes. Die Arbeiter wurden abgezogen und in die Heeresversuchsanstalt Peenemünde verlegt, wo sie an der Konstruktion der V-Waffen Anlagen beschäftigt wurden. Zwischen 1939-45 erfolgte die Instandhaltung und der Innenausbau Proras durch polnische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter.
1940 kam dann der offizielle Baustopp. Der Aufmarschplatz, die Schwimmbäder, die Festhalle und weite Teile der Wirtschaftsgebäude wurden niemals verwirklicht.
Bis zu 9.000 Arbeiter arbeiteten 3 Jahre an dem Projekt, für welches ursprünglich 50 Millionen Reichsmark veranschlagt waren. Die geplanten Kosten wurden aber deutlich überschritten und eine Kostenzusammenstellung von 1938 ergab einen Baukostenbetrag von mindestens 237 Millionen Reichsmark, heute umgerechnet über 1 Milliarde Euro.
Koloss von Rügen als DDR Kaserne der Bausoldaten
Was hab ich verbrochen, was hab ich getan, dass ich in die Wüste von Prora kam.Bausoldaten
Ab Mai 1945 wurde das Gelände durch die Sowjetunion übernommen und Teile der Anlage noch demontiert, zwecks Kriegsreparationen. 1948 führte die Rote Armee Sprengungen am Süd- und Nordteil durch – große Teile blieben bis heute stark beschädigt als Ruine stehen.
Ab 1949 wurde die Anlage zuerst als Infanterieschule für 1000 Mann genutzt, 1950 bildete sich daraus eine Kaserne und das gesamte Gelände wurde zum Sperrgebiet. 1956 ging aus ihr die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR hervor und Prora beherbergte erstmals in seiner Geschichte rund 10.000 Mann.
Ein weiteres dunkles Kapitel von Prora erfolge nach der Wehrdiensteinfuhr 1962, durch die Nutzung der sogenannten “Bausoldaten”. Sie waren Wehrdienstverweigerer, und wurden somit als staatsfeindlich angesehen. Bausoldaten wurden teilweise sehr unmenschlich behandelt und mit Bezeichnungen wie Spinner, Sektierer, Kriminelle oder Schwule deklassiert. Der Öffentlichkeit wurde die Existenz dieses Ersatzdienstes verschwiegen obwohl Prora 1982 der größte Standort der Bausoldaten der DDR war.
Untergebracht in Block V, fand die Grundausbildung der Bausoldaten unter starkem militärischen Drill statt, danach wurden sie mit Transport- und Verladearbeiten, Beseitigung von Übungsschäden und Katastrophenfolgen eingesetzt. Die Konzentration der Bausoldaten führte zu einem verstärkten Einsatz des MfS (Ministerium für Staatssicherheit), die die als Staatsfeinde angesehenen Bausoldaten überwachte und politisch verfolgte.
Soldaten die zum Beispiel Arbeiten an einem Panzerübungsplatz aus Gewissensgründen verweigerten, wurden wegen Befehlsverweigerung für 6 Monate inhaftiert, Zeit die am Schluss ihrer Wehrzeit nachgedient werden musste. In der Regel gab es nur schwerere, körperliche Arbeit, Maschinen durften von den Bausoldaten nicht bedient werden und das durch Stacheldraht und doppelte Posten gesicherte Gelände durfte während der gesamten Dienstzeit nur mit einem Berechtigungsschein verlassen werden. Einige Soldaten wurden durch den körperlichen und psychischen Druck in den Selbstmord getrieben.
Für den Aushub der Dockanlagen wurden sogenannte Caissons – unter Druck stehende Senkkästen auf den Meeresboden abgelassen in denen bis zu 12 Bausoldaten, den Meeresboden per Hand in Tag- und Nachtschichten ausgehoben haben. Hier kam es immer wieder zu starken körperlichen Schädigungen der Soldaten.
Zeitweilig waren bis zu 19.000 Bausoldaten am Wiederaufbau von fünf Prora Blöcken beteiligt, der bis in die 1980er Jahre hinein reichte. Erst jetzt erhielten die Blöcke Zimmer, Fenster, Elektroinstallationen, Türen und den bis heute erhaltenen äußeren Rauputz.
Prora Heute – Hotel und Ferienwohnungen
Prora wurde 1994 unter Denkmalschutz gestellt und erlebt heute einen Wandel als Nachbarort des weiß strahlenden Seebads Binz. Angefangen als gigantomanes KdF Seebad, über Zwangsarbeiterkaserne, führt uns Prora’s Geschichte heute zu einer für manche sehr umstrittener Nutzung: Blöcke I, II, III, IV, V wurden ab 2004 an private Immobilieninvestoren versteigert und werden nun unter dem Banner “Wohlfühloasen” zu einem Großteil in Ferienwohnungen umgebaut.
Auch ein Hotel wurde schon fertig gestellt – das Hotel Solitaire bietet Luxus Meerblick-Appartements mit Spa-Bereich inkl. Saunen, ein Schwimmbad und drei Außenpools – ein 45m² Appartement kostet in der Hauptsaison 1200€ pro Woche!
2011 wurde aus dem ehemaligen Block V (Bausoldaten Block) eine Jugendherberge mit 424 Betten und 250 Zeltplätzen.
Die 370 Ferienwohnungen im Strandbad Binz kompatiblen creme-weiss kosten bis zu 7000€ pro Quadratmeter, ein Preis der definitiv eine gehobenere Käuferschaft anspricht. Über die Beweggründe der einzelnen Käufer will ich mir selbst kein Urteil bilden.
Dokumentationszentrum Prora
Auf dem Gelände gibt es heute das Dokumentationszentrum Prora, welches sich im Zentrum der Anlage, im Block III neben dem ehemaligen Theaterbau befindet.
Das Dokumentationszentrum Prora bietet eine Dauerausstellung sowie eine Reihe an Sonderausstellungen, Veranstaltungen, Führungen über das Gelände, Bildungsangebote und ein Lesecafé zum Verweilen an.
In Kooperation mit dem Förderkreis Bausoldaten Prora e.V. existiert seit 2014 die Außenausstellung “Zeitsplitter”. Hierzu sind Informationstafeln an markanten Punkten auf dem Gelände verteilt. Sie sollen die militärische Nutzung in der DDR-Zeit erläutern. Somit soll die Authentizität des Ortes unterstrichen, und die DDR-Geschichte Prora’s stärker verankert werden. Drei “Zeitsplitter” konnten bisher (Ende 2019) installiert werden, weitere sollen folgen.
Mai, Juni, Juli, August täglich von 9:30 – 19:00 Uhr
November 10:00 – 16:00 Uhr
1.-25. Dezember geschlossen
26. Dezember bis 6. Januar 10:00 – 18:00 Uhr
Der Einlass endet jeweils eine Stunde vor Schließung.
Mittwochs um 10:30 Uhr auch per Fahrrad!
Für Führungen wird ein Zuschlag von 3,00€ auf den Eintrittspreis erhoben (Kinder unter 13 Jahren frei).
Ermäßigte 3,00€
Familienkarte für Eltern und ihre minderjährigen Kinder 14,00€
Familienkarte für ein Elternteil und seine minderjährigen Kinder 8,00€
Kinder unter 13 Jahren freier Eintritt
Gruppen ab 10 Personen 5,00€ pro Person
Dritte Straße 4
18609 Binz
Weitere Tipps für Rügen
Rügen bietet natürlich noch viele weitere Sehenswürdigkeiten. Was Du vor allem mit Baby und Kinderwagen auf Rügen alles unternehmen kannst, haben wir für Dich in einem separaten Artikel zusammengefasst. Mit ein bißchen Abenteuerlust lässt sich die Ruine von Prora auch mit Kinderwagen entdecken.
2 Comments
Jens
3. Juli 2020 at 17:58Ein prima Artikel über das KdF in Prora, super zusammengestellt. Die Fotos sind wirklich sehr gut gelungen und emotional.
Viele Grüsse,
Jens
Familienurlaub auf Rügen: Ganz nah an der Natur (mit Reiseführer-Tipp) - family4travel
23. Januar 2020 at 10:32[…] Einen schönen Artikel über die Geschichte von Prora gibt es übrigens bei den North Star Chronicles. […]