Fast schon etwas düster blicken sie auf mich herab, diese riesigen Medusenköpfe mit den offenen Mündern. Gleich daneben eine dem Teufel anmutende Figur mit grimmigen Blick und Hörnern auf dem Kopf. Auf der anderen Straßenseite halbnackte junge Frauen, ihr Körper lediglich von einem leichten Tuch verhüllt.
Ich streife durch das Jugendstil Viertel von Lettlands Hauptstadt Riga. Hört man das Wort Jugendstil hat man sofort Städte wie Wien, Barcelona oder Paris vor Augen. An Riga denkt man weniger. Dabei sind hier, wie ich finde, die Fassaden der Häuser teilweise sehr viel ausgefallener als anderswo dekoriert.
Rund 800 Häuser befinden sich im Stadtzentrum, die diesen Kunststil aufweisen. Die meisten davon findet man in der Neustadt, die jenseits der Parks und Grünanlagen, welche noch die frühere Stadtbefestigung erahnen lassen, liegt. Aufgrund der Anzahl der erhalten gebliebenen Jugendstil Häuser gehört die Neustadt von Riga, zusammen mit entsprechenden Stadtteilen in z.B. Wien, Paris, Sankt Petersburg oder Barcelona zum sehenswerten Jugendstilensemble der Welt, und war der UNESCO damit auch einen Eintrag in die Liste der zu bewahrenden Kulturschätze der Menschheit wert.
Zur Zeit der sowjetischen Besatzung wollte man die Häuser eigentlich abreißen, da sie immer mehr dem Verfall ausgesetzt waren und das Geld für die Restaurierung schlichtweg fehlte. Aber Gott sei Dank fehlte ebenso das Geld für den Abriss. Erst als Lettland wieder unabhängig war, Anfang der 1990er Jahre, begann man mit der aufwendigen Restaurierung der Häuser.
Am bekanntesten und schönsten sind die Häuser in der Alberta Iela (Albert Straße) und der Elizabetes Iela (Elizabeth Straße). Aber auch im gesamten Bereich der Neustadt findet man überall nette Straßenzüge mit tollen Jugendstilfassaden. Die einen prächtig herausgeputzt, zeigen die Visitenkarte der oberen Bevölkerungsschicht, die anderen stehen am Scheideweg zwischen Verfall und Teilrestauration.
Geschichte des Jugendstils in Riga
An der Wende zum 20. Jh. wurden meist wahllos historische Architekturstile miteinander kombiniert. Diese Richtung nannte man Eklektizismus. Sie kam aber schnell wieder aus der Mode und der Jugendstil erhielt Einzug in die Architektur. Riga erlebte eine wirtschaftliche Jochkonjunktur und immer mehr dieser prächtigen Häuserfassaden sollten vom Wohlstand der Stadt zeugen.
Der Jugendstil lässt sich hier aber nicht vereinheitlichen, sondern zeichnet sich durch verschiedene Richtungen aus.
Eklektizistischer Jugendstil
Die Fassaden dieser Häuser sind häufig mit prachtvollem und reichlichem Dekor verziert und zeigen dämonische Fratzen, Soldaten-und Löwenmasken, aber auch halbnackte Frauenfiguren mit Blumenkränzen in den Händen. Die schönsten davon lassen sich in der Alberta Iela bestaunen. Sie sind von Mikhail Eisenstein (1867-1921), einem russischen Architekten und Bauingenieur, der insgesamt über 50 Jugendstil Häuser in Riga erbaute, errichtet worden. Mikhails Sohn ist übrigens der berühmte Regisseur Sergei Eisenstein, der den Revolutionsfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ erschuf.
National Romantischer Jugendstil
Die Nationalromantik hatte ihre Blütezeit zwischen 1905 und 1911. Hier versuchten die Architekten eine eigene lettische Architekturtradition zu entwickeln. Meist wirken diese Gebäude sehr grob und massich und zeigen oft aus der Volkskunst Lettlands entstammende Ornamente. Zum Bau wurden ausschließlich Naturmaterialien verwendet. Ein Meister dieses Stils war der Architekt Eizens Laube (1880-1967).
Lotrechter Jugendstil
Ab 1906 traten statt opulenten Verzierungen eher herausgehobene vertikale Elemente an die Fassaden wie z.B. Erker und Reliefe, die von der Grundebene meist sogar über mehrere Stockwerke vertikal aufstiegen. Die Fassaden wirken ruhiger als die im Eklektizistischen Jugendstil. Häufig sind auch nur die Eingangsportale verziert. Auch hier taten sich Architekten wie Eizens Laube, Oskars Bars (1848-1914) und Janis Alksnis ( 1869-1939) hervor.
Ich bin zwar keine Kunsthistorikerin und werde wohl auch keine mehr werden, aber ich muss gestehen, dass ich mir in Zukunft wohl mehr die Fassaden der Häuser anschauen werde, da gerade der Jugendstil hier so viel zu bieten hat.
Meine Tipps zum Jugendstil in Riga
- wenn Euch wunderschöne Jugendstil Häuser begegnen, schaut auch mal durch die Eingangstür ins Treppenhaus. Der Blick lohnt sich!
- “Art Nouveau Riga” ist ein kleiner Laden in der Alberta Iela in dem man alles mögliche im Jugendstil designte kaufen kann.
- Wer sein Wissen über den Jugendstil weiter vertiefen möchte, dem sei das “Rigaer Jugendstilmuseum“, in der Alberta Iela 12, empfohlen. Geöffnet von Mai-September, Di-So 10-18 Uhr.
- Wer sich für eine geführte Tour durch das Jugendstil Viertel in Riga interessiert, kann das z.B. bei “eatRiga” tun. Die Tour dauert 2-3 Stunden und ist individuell anpassbar.
Wo hast Du schon einmal schöne Jugendstil Häuser besichtigt? Welche sind besonders lohnenswert?
Lass es mich in den Kommentaren wissen!
3 Comments
NordNerds Februar-Rückblick 2017 » Finnweh! Ein Finnland-Blog
2. März 2017 at 0:19[…] sind eine herrliche Sache und wir können mit North Star Chronicles über die lieblichen Jugenstil-Bauten Rigas staunen; sie sind Weltkulturerbe. Während am anderen Ende Silja von Ferhnwehge von Work & […]
Lu Morgenstern
12. Februar 2017 at 9:23Liebe Miriam,
du sagst es, Gott sei Dank fehlte das Geld für den Abriss! Meine kurze Reise nach Riga ist jetzt sicher bald zehn Jahre her, aber ich habe die Stadt in bester Erinnerung und hierzu gehören eben auch diese Jugendstilfassaden, die einfach wunderschön sind. Ich fänds toll, wenn du noch mehr über Riga veröffentlichst. Die Stadt hätte es verdient und ich würde mich freuen, auf deinem Blog nochmal da sein zu dürfen.
Liebste Grüße
Lu
Miriam
12. Februar 2017 at 15:37Liebe Lu,
den Gefallen tue ich Dir gerne, sitze schon dran :).
Ich war 2005 das erste Mal dort (mein Gott, das ist jetzt schon knappe 12 Jahre her) und auch damals fand ich die Stadt sehr schön und wollte irgendwann wiederkommen. Sie eignet sich auch besonders gut für einen Kurztrip wie ich finde.
Dann hoffentlich bis bald!
Lg Miriam