Ruhe finden sie hier. Die, die keinen Namen haben. Gefunden wurden sie in der Donau oder an ihrem Ufer. Menschen, die ihrem Leben ein Ende gesetzt hatten, durch Unfälle oder durch fremde Hand ums Leben gekommen waren, fanden hier ihre letzte Ruhe. Der Friedhof der Namenlosen in Wien ist der einzige Friedhof weltweit, der ausschließlich für die Toten eines Flusses angelegt wurde. Eigentlich ein schauriger Ort. Doch seit fast 100 Jahren kümmert sich eine Familie liebevoll um die Erhaltung dieses Ortes und gibt den Toten ein Stück Würde zurück.
Warum gerade hier? Weil die Donau hier eine Verwirbelung bildet, die dazu führt, dass an diesem Ort die meisten Wasserleichen angeschwemmt wurden.
Es war einmal…
Bereits 1840 fanden hier die ersten Bestattungen statt. Allerdings wurden die Körper einfach vergraben, da man zu dieser Zeit keine Möglichkeit besaß die Toten zu identifizieren. Nach Wochen im Wasser, waren sie zudem meist schon sehr zersetzt. Der erste Friedhof der Namenlosen wurde bei Hochwasser häufig überspült und verwüstet, daher legte man 1900 einen zweiten hinter dem Hochwasserschutzdamm an. 1935 bekam der kleine Friedhof eine Auferstehungskapelle. Bis 1940 wurden hier 104 Wasserleichen begraben, nur 43 davon konnte man identifizieren.
Letzte Ruhe
Eiserne Kreuze, weiße Christus Figuren, eine Kerze, manchmal ein paar Blumen. Auf dem Schild am Kreuz steht geschrieben „Namenlos“. Nur bei sehr wenigen Gräbern finden wir einen Text. „Hier ruht Wilhelm Töhn. Ertrunken durch fremde Hand am 1. Juni 1904 im 11. Lebensjahr“ steht auf einem Kreuz, davor ein Kuscheltier.
Die Toten hatten keine Verwandten, keine Familie, die sich um die Grabpflege kümmern konnten. Bedrückend wirkt das auf mich, andererseits aber auch rührend, weil sich heute, über 100 Jahre später Menschen um dieses Kind kümmern.
Auch Menschen, die auf anderen Friedhöfen keinen Platz hatten, da man sie dort nicht wollte, fanden hier auf dem Friedhof der Namenlosen in Wien ihren Platz: Selbstmörder. Jedes Grab, jeder Toter hat seine eigene Geschichte, sein eigenes Schicksal. Einige setzten ihrem Leben in der Donau ein Ende, weil sie keinen Ausweg mehr sahen, weil die Gesellschaft sie nicht mehr angenommen hätte, oder weil sie den Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen nicht mehr ertragen konnten. Vielleicht hatten sie niemanden mit dem sie reden konnten, niemanden der ihr Leid verstand und der ihnen hätte helfen können. Sie konnten ihren Schmerz nicht mehr ertragen.
Gibt es einen besseren Begriff für jemanden der sich das Leben genommen hat als “Selbstmörder”? Ist hier nicht auch ein wenig die Abweisung der Schuld seitens der Gesellschaft zu erkennen? Wir sagen, es war ein „Selbstmörder“. Die Person hat „selbst“ entschieden. So ist es vermutlich einfacher für uns. Dass wir, als Teil der Gesellschaft, vielleicht einen Anteil an dieser Tragödie haben, weil der Tote von uns aus irgendwelchen Gründen gemieden, gar ausgestoßen wurde, dass kommt uns kaum in den Sinn.
Auch in der heutigen Zeit ein Aspekt der zum Nachdenken anregt.
Auch heute gilt der Friedhof der Namenlosen in Wien noch als ein Geheimtipp. Internationale Bekanntheit erreichte er wohl durch eine Filmsequenz aus dem Spielfilm Before Sunrise.
Erreichbarkeit
Der Friedhof der Namenlosen liegt im 11. Wiener Bezirk Simmering, in der Nähe des Alberner Hafens. Die genaue Adresse lautet: Alberner Hafenzufahrtsstraße, 1110 Wien. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist:
Ab Wien Mitte:
U3 Landstraße (Richtung Wien Simmering) bis Enkplatz fahren. Dort an der Haltestelle Enkplatz U/Grillgasse umsteigen in den Bus 76 A und bis Alberner Hafen fahren. Von dort aus, sind es ca. 10 bis 15 min. zu Fuß. Der Gesamtweg beträgt ab Wien Mitte ca. 1 Stunde.
12 Comments
Julie
17. November 2018 at 19:48Jetzt wohne ich seit über 10 Jahren in Wien und habe es noch nie geschafft, diesem Friedhof einen Besuch abzustatten. Schande über mich.
Ein wirklich schön verfasster Text, veröffentlicht an meinem Geburtstag. 😉
Viele liebe Grüße
Julie von julie-en-voyage.com
Josefine
10. Mai 2018 at 18:15Ein sehr bewegender Artikel in der sonst so fröhlich bunten Reisewelt. Du hast ihn sehr geschmackvoll geschrieben und gestaltet- vielen Dank!
Chrisi
10. Mai 2018 at 17:29Wow das kannte ich noch nicht in Wien, muss ich demnächst auch mal besuchen, danke für den tollen Artikel! 🙂
Miriam
10. Mai 2018 at 18:09Gerne! Ich kannte den Friedhof vorher auch nur aus dem Film “Before sunrise”.
Tina
7. Mai 2018 at 21:17Davon hatte ich noch nie etwas gehört. Was für eine traurige und gleichzeitig beeindruckende Geschichte, die mich sehr nachdenklich gemacht hat. Toller Artikel.
Miriam
10. Mai 2018 at 18:08Danke liebe Tina.
Ines
6. Mai 2018 at 17:47Liebe Miriam,
ein sehr schöner Bericht und die Bilder in schwarz-weiß passen perfekt! Den Friedhof kannte ich noch nicht, danke für den Tipp und den Gänsehautmoment… Dein Bericht hat mich sehr berührt!
Liebe Grüße
Ines
Bruno
6. Mai 2018 at 12:16Schön, dass auch diese Menschen eine letzte Ruhestätte haben. Schwarzweiß passt gut zu diesem Bericht.
Viele Grüße
Bruno
Miriam
10. Mai 2018 at 18:08Hallo Bruno,
ja ich fand auch, das gerade schwarz-weiß bei Friedhöfen immer sehr gut kommt.
Lg Miriam
Ina
5. Mai 2018 at 20:08Das ist ja ein schaurig schöner Bericht! Mal eine ganz andere Wiener Ansicht. danke für das Berichten .
Lg aus Norwegen
ina
Miriam
6. Mai 2018 at 14:14Hallo Ina,
ich finde Friedhöfe haben durchaus etwas faszinierendes. Und dieser mit seiner Geschichte hat es mir besonders angetan.
Lg Miriam
Barbara
2. September 2017 at 15:52Hallo Miriam,
Dein Artikel hat mich sehr berührt. Das ist ja doch ein ganz spezieller Friedhof mit teils traurigen teils gewaltsamen Lebensgeschichten dahinter. Schön, dass es so eine Gedenkstätte gibt. Eine unbekannte Facette Wiens.
Und ich finde Deine Idee gut, die Fotos in Schwarzweiß zu bringen.
Liebe Grüße
Barbara