„Bitte überlasst mir das Reden, wenn ihr gefragt werdet. Ihr seid jetzt alle Kanadier!“ sagte unser Fahrer mit bestimmendem Ton. Ein Schweigen ging durch den Wagen. Zwischen unserem Fahrer und den Soldaten wurden Worte auf Hebräisch gewechselt, zwei Uniformierte schauten mit versteinerter Miene durch unsere Fenster. Ich versuchte etwas krampfhaft zu lächeln. Das war´s, wir wurden durchgewunken.
Etwa zweihundert Meter hinter dem Check Point bogen wir links in eine kleine Seitenstraße ab. Vor einem großen roten unübersehbaren Schild halten wir an. „Diese Straße führt in Zone „A“ unter palästinensischer Verwaltung. Der Zugang ist für israelische Bürger verboten, es besteht Lebensgefahr und verstößt gegen das israelische Gesetz“. Ich schaue den Hügel zum Dorf hinauf. Kinder spielen auf einem Feld, ein Bauer hütet seine Ziegen. So so, denke ich.
Wir wurden bereits erwartet und an unseren palästinensischen Fahrer übergeben. Alles ging recht schnell und ohne viele Worte zu wechseln. Was für eine seltsame Stimmung.
Nach ein paar Minuten, der israelische Check Point war aus unserem Blickfeld verschwunden, lockerte sich die Stimmung und die Gesichtszüge unseres zweiten Fahrers entspannten sich. Er mag diesen Ort nicht, er mag die Soldaten nicht, deshalb mache er die „Übergabe“ immer möglichst zügig.
Es geht nach Hebron, dem absoluten Hotspot und Ausgangspunkt zahlreicher blutiger Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern. Vor rund 6 Wochen wurde die „Operation Protective Edge“, der Gaza Krieg 2014 beendet. Auseinandersetzungen in der Nähe von Hebron gaben den Ausschlag (die Entführung und Ermordung von drei jüdischen Teenagern).
Wir parken auf einem kleinen Platz, rundherum stehen Häuser. Ein kleines Mädchen klettert aus einem Fenster im untersten Geschoss des Hauses. Vorsichtig krabbelt sie auf der Leiter nach unten und rennt lachend an uns vorbei. Wir suchen unsere sieben Sachen zusammen. Da sehe ich eine Frau, die dieselbe Leiter benutzt um durch das Fenster ins Haus zu gelangen. Das kleine Mädchen kommt erneut um die Ecke und folgt ihrer Mutter in die Wohnung. „Wenn sie ihr Haus durch die Eingangstür auf der anderen Seite verlassen, werden sie jedes Mal vom israelischen Militär kontrolliert, welches einen Posten direkt vor dem Haus hat. Hier beachtet sie niemand, deshalb nehmen sie den Weg aus dem Fenster“ erklärt unser Guide. Bin ich erstaunt, verwundert, verärgert, belustigt? Ich weiß es nicht. Die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo dazwischen.
Wir passieren den Checkpoint, einer nach dem anderen, nie alle zusammen. Alle werden wir befragt. Wohin soll es gehen? Warum sind wir hier? Welcher Religion gehören wir an? Hier sollte man immer das sein, was gewünscht wird. „Just a normal tourist and of course christian!“ antworte ich. Funktioniert.
Wir betreten die Machpela, auch das Grab der Patriarchen genannt. Eine der wichtigsten Stätten des Judentums. Es sind die Ruhestätten von Abraham, Isaak und Jakob sowie ihrer Frauen Sara, Lea und Rebekka. Da sich aber auch die Muslime auf den Stammvater Abraham beziehen, ist auch ihnen diese Stätte heilig. Genau dies führte immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen, die 1994 mit dem Massaker des jüdischen Siedlers Baruch Goldstein (er erschoss 29 Muslime beim Beten) ihren Höhepunkt erreichten. Die Machpela ist heute getrennt in einen jüdischen und einem muslimischen Teil.
Baruch Goldstein wurde damals von den nationalreligiösen jüdischen Fanatikern gefeiert. Es ist mir wichtig hier zu sagen, dass die Mehrzahl der Israelis dieses Massaker natürlich verurteilte! Sogar Jitzak Rabin soll damals tief beschämt gewesen sein.
Wieder draußen geht es weiter mit der bitteren Realität der geteilten Stadt. Rund 1500 Soldaten sind hier stationiert. Sie sollen die rund 600 Siedler beschützen, die hier mitten in der Stadt leben. Wir spazieren durch die schmalen Gassen des Basars. Die Läden bieten bunte Textilien, Lebensmittel und alles andere an, was man zum Leben braucht. Ältere Männer sitzen vor ihren Geschäften, trinken Tee und unterhalten sich. Sie grüßen freundlich, lächeln und bieten ihre Waren an. Fast schon etwas verzweifelt wirkt das Ganze. Es kommen kaum Touristen nach Hebron, der Absatz läuft schlecht. Dennoch wirkt es friedlich hier, denke ich.
Mein Blick richtet sich nach oben, denn dort verläuft direkt über der Gasse ein Maschendrahtzaun. Auf ihm liegen Cola Dosen, Abfall, Eierschalen, Papier, einfach Müll. Der Maschendrahtzaun soll die Palästinenser vor den Attacken der jüdischen Siedler schützen, die den oberen Teil der Häuser bewohnen. Sie werfen immer wieder Müll, manchmal sogar Fäkalien auf die Auslagen in den arabischen Geschäften. Der Zaun hält einiges ab. Wir alle sind entsetzt und gehen schweigend weiter.
Die Straßen in Hebron hinter der Machpela sind leer, die Geschäfte geschlossen, die blauen Türen zugeschweißt, die Häuser unbewohnt. Es ist die Geisterstadt, die sich mitten durch Hebron zieht. Am Ende des Niemandslandes erstreckt sich ein Teil der jüdischen Siedlung Kirjat Arba. Sie gilt als der harte Kern der radikalen Siedlerbewegung. Unser Guide lässt uns laufen. Für ihn selber ist es verboten diesen Teil der Stadt zu betreten. Auf halben Wege ein Militärposten. Ein surreales Gefühl.
Märtyrer gibt es auf beiden Seiten. Auch das wird hier schnell klar. Am Ende der Straße stößt man auf eine Mauer, die die jüdische Siedlung Kirjat Arba vom Rest der Stadt abgrenzt. Ein junger Mann mit Kippa steht an der Mauer. Wir schlendern weiter. Ein zweiter und ein dritter stoßen hinzu. „Wir werden beobachtet“ murmle ich den anderen der Gruppe zu. Wir alle fühlen uns sichtlich unwohl. Als die Gruppe auf der anderen Straßenseite anwächst, entschließen wir uns umzukehren.
„So ist das“ sagt unser Guide später dazu.
Als wir beim Mittagessen mit einer palästinensischen Familie sitzen, erzählt uns der Sohn dass er erst seit drei Tagen wieder aus dem Gefängnis heraus ist. Was passiert ist, wollen wir von ihm wissen. Das weiß er nicht. Die israelischen Soldaten hätten ihn einfach nachts um drei aus dem Haus seiner Eltern gerissen und ihn auf die Wache gebracht. Er wurde für ein paar Tage inhaftiert, durfte mit niemanden sprechen. Dann wurde er wieder freigelassen. Warum das alles? Auch er hat keine Antwort. Auf die Frage, ob er sich denn hier noch sicher und wohl fühle, zuckt er mit den Schultern. „Nein. Ich würde am liebsten irgendwo frei leben. In den USA vielleicht. Das wäre schön. Eine legale Ausreise ist für Palästinenser aber sehr schwer. Aber ich kenne niemanden im Ausland, meine Freunde und meine Familie leben hier. Ich bin hier geboren, dies ist meine Heimat!“
UNESCO
Die Einschreibung der Altstadt von Hebron in die Weltkulturerbeliste fand 2017 unter heftigen Protesten Israels und den USA statt.
Wir haben die Tour nach Hebron über Green Olive Tours gebucht und können den Anbieter wirklich sehr empfehlen. Ich wurde nicht dafür bezahlt, sondern empfehle das Unternehmen aufgrund sehr guter Erfahrung.
9 Comments
Ramallah Palästina - Infos, Highlights, Tipps & Sehenswürdigkeiten
14. September 2019 at 11:45[…] Miriam und Johannes von North Star Chronicles waren auch in Palästina und berichten auf ihrem Blog unter anderem über die geteilte Stadt Hebron. […]
Nika
14. Oktober 2018 at 17:58Es ist einfach unglaublich, dass wir alle, nachdem was uns die Geschichte gelehrt hat von solchen Szenarien lesen. Ich selbst war nie in Israel, es steht lediglich auf meiner Löffelliste ganz oben. Ich wurde christlich erzogen, ob ich heute noch besonders gläubig bin, das spielt eigentlich weniger eine Rolle für mich. Der einzige Glaube, der mir wirklich wichtig ist, ist der Glaube an die Menschlichkeit und ich bin erschüttert, wie wenig wir oft in der Lage sind fremde Meinungen, Bräuche und Lebenseinstellungen zu akzeptieren. Jeder Mensch ist ein Unikat, somit jedes Leben und wie können sich aus diesem Fakt heraus Gruppen bilden, die sich darum streiten, dass z.B. eine religiöse Stätte sowohl ein Teil der einen als auch der anderen Glaubensrichtung ist? Sehen sie denn nicht, dass wir alle nur Menschen sind, am selben Punkt gestartet und jeder seinen Weg gegangen, der uns an dieser Stelle wieder vereint? Es macht mich unendlich traurig, dass Menschen den Unterschied vor die Gemeinsamkeit stellen und sich streiten bis Menschen ihr Leben dabei verlieren. Dabei verlieren wir doch alle am Ende.
Ich weiß nicht ob dir dieser Beitrag schwer gefallen ist, aber mir ist es schwer gefallen ihn zu lesen. Nicht weil er nicht gut ist, sondern weil er so echt ist. Mir kamen fast die Tränen bei so mancher Beschreibung. Ich konnte den Klos im Hals spüren, wenn man liest unter welch schwierigen Bedingung die Menschen dort auf beiden Seiten leben.
Faszinierend finde ich allerdings, dass der junge Mann ausgerechnet die USA nennt, wenn er davon spricht in einem Land in Freiheit leben zu können. Ausgerechnet ein Land, das gegen die Aufnahme als Weltkulturerbe war, das Länder dazu veranlasst nur noch Zettel in deinen Pass zu legen statt zu stempeln.
Ich glaube immer noch an die Menschlichkeit und daran, dass wir eines Tages auch diese Zäune einreißen und Mauern durchbrechen, die so lange im Kopf der Menschen waren, bis sie Realität wurden.
Vielen Dank für diesen bewegenden Beitrag.
Liebe Grüße,
Nika
http://www.vintasticworld.com
Reiseblogger Meeting – 20 Fragen an northstarchronicles.de
31. August 2018 at 9:44[…] Ebenso der Artikel über die San in Namibia zum Thema „Authentizität auf Reisen“ , oder unsere „Reise nach Hebron“ ins Westjordanland. In solche Artikel fließen einfach unglaublich viele Emotionen und daher nehmen […]
Josefine
19. Juni 2018 at 10:20Sehr beeindruckender Bericht- vielen Dank für den Blick in diese Stadt!
Magdalena
20. September 2017 at 12:51Wow, krasser Beitrag. Schön mal einen etwas anderen Bericht zu lesen und den Menschen ins Bewusstsein rufen, dass Reisen nicht nur Strand und Palmen bedeutet, sondern auch unglaublich bilden kann. Wenn man sich darauf einlässt und den Mut dazu hat. Sehr schön!
Viele Grüße
Magdalena
Lisa
14. August 2017 at 21:31Vielen Dank Miriam für den spannenden Einblick “hinter die Mauern”! Für die Geschichte Israels und Palästinas interessiere ich mich schon immer, leider haben wir es noch nie dorthin geschafft (und mit einem Iran-Stempel im Visum wird´s die nächste Zeit auch schwierig bleiben).
Das ist bestimmt eine prägende und bleibende Erfahrung…
Liebe Grüße, Lisa
Miriam
14. August 2017 at 22:31Liebe Lisa,
ja, die Erfahrung hat einem die Augen geöffnet.Hast Du den iranischen Stempel richtig im Pass? Wir haben den israelischen nicht in den Pass bekommen, sondern in ein separates Visum, welches in den Pass gelegt wurde. Wir wollten Israel zuerst machen, damit wir dann wenigstens ohne Probleme in den Iran kommen können.
Alletdings ist mir kein Fall bekannt wo es zu Problemen mit einem iranischen Stempel im Pass gekommen ist. Wahrscheinlich eirst Du “nur” ewig befragt…🙄.
Lg Miriam
Esther
22. Juli 2017 at 8:33Wow, das sind viele Eindrücke.
Ich bin schon sehr gespannt…
LG Esther
Miriam
22. Juli 2017 at 11:45Es wird Dir gefallen, da bin ich mir sicher! Aber es ist auch heftig, dass alles mal mit eigenen Augen zu sehen und nicht nur via News aus den Medien.
Lg Miriam